Da ist der Mann am Meer, ruhig und introspektiv, der fast schon in existenzialistischer Melancholie verharrt; dann die statuenhafte Frau in Rot, irgendwo zwischen urbaner Eleganz und märchenhafter Kühle; ein Motorradfahrer, der das Motiv der Freiheit bemüht und vielleicht einen Hauch von James Dean in den Werbespot schmuggeln möchte, und schließlich die schwerelose Unterwassersequenz, deren Symbolik ich zugegebenermaßen eher diffus finde. Ich gestehe, mir erschließt sich die angedeutete (oder auch nicht angedeutete) Beziehung zwischen diesen Menschen und Szenen kaum – wobei das vielleicht weniger an der Konzeption und mehr an meinem eigenen, offenbar beschränkten Abstraktionsvermögen liegen mag. Sollte ich da völlig auf dem Schlauch stehen, so sehe man es mir bitte nach.

Was mich allerdings überzeugt, ist der konsequente Anspruch an visuelle Inszenierung und filmische Raffinesse. Die Szenen sind ausgesprochen hochwertig komponiert, fast schon cineastisch – das Licht im Flakon, der zart-melancholische Blick der Protagonistin im Cabrio, die liebevoll ausgewählten Settings zwischen Küste, Pool, Villa und endloser Landstraße wirken wie Gemälde, denen der Spot tatsächlich eine Aura von Luxus, Zeitlosigkeit und elitärer Abgehobenheit verleiht. Ich finde, gerade durch diese stilistische Sorgfalt schafft Chanel es erneut, das Gefühl von Exklusivität und Ikone zu transportieren. Die Bildsprache kokettiert aus meiner Sicht mit einer Meta-Ebene, in der die Figuren zwar oberflächlich inszeniert werden und doch als Stellvertreter für Emotionen, Sehnsüchte und vage Ideale fungieren.

Die Zielgruppenansprache empfinde ich als ausgesprochen subtil und elitär. Hier wird nicht einfach ein Duft verkauft – hier wird ein Lebensgefühl inszeniert, ein diffuses Großstadtbekenntnis, irgendwo zwischen Freiheit, Selbstbeobachtung und einer Art kontrollierter Leidenschaft. Gerade dadurch, dass klassische Klischees von Mann trifft Frau, Verführung oder Sinnlichkeit nicht in der Form bedient werden, wie man es von „klassischer“ Parfümwerbung erwarten würde, sondern dass vielmehr Atmosphäre und Stimmung durchlässig bleiben, finde ich die Werbebotschaft für anspruchsvolle, aufgeklärte Zuschauer*innen durchaus überzeugend: N°5 ist die Antwort – wobei elegant offen bleibt, auf welche Frage genau. Das lässt Raum für Assoziation und Projektion – und das wirkt für mich deutlich reflektierter als plumpe Reizüberflutung.

Was die Kreativität und Originalität angeht, bin ich allerdings etwas zwiegespalten. Einerseits begrüße ich es, dass Chanel sowohl mit Genderrollen als auch mit narrativen Erwartungshaltungen souverän spielt, indem sie eine künstlerisch konnotierte Parallelwelt erschaffen. Andererseits wirkt der Spot für mein Empfinden stellenweise allzu sehr wie ein sorgfältiges Moodboard – ästhetisch makellos, aber fast schon ein bisschen beliebig und entkontextualisiert, so dass keine echte emotionale Identifikation möglich wird. Vielleicht ist das Absicht, vielleicht manifestiert sich darin auch die Dekadenz der Luxuswelt, die sich bewusst der Verständlichkeit verweigert. Meiner Ansicht nach kann diese Mischung aus Stil und Hermetik faszinieren, aber auch Distanz schaffen.

Insbesondere visuell ist der Spot ohne Zweifel herausragend. Das Spiel mit Licht, Farbe und Perspektive, der elegante Wechsel von Nahaufnahmen und Totale, die gezielten Akzentuierungen – das ist handwerklich auf höchstem Niveau. Die Bildästhetik vermittelt Luxus glaubhaft, ohne ins Überdrehte oder Kitschige abzugleiten. Da setze ich Chanel ohnehin hohe Maßstäbe an – und ich finde, die werden hier erfüllt. Die Klassizität des Flakons steht immer wieder wie ein ruhender Pol im Zentrum und verdichtet alle Impressionen zu einer klaren Markenbotschaft.

In puncto Marken-Konsistenz ist Chanel eben Chanel: Hier wird ein Jahrzehnte altes Erbe mit einer fast schon arroganten Lässigkeit als Statussymbol in Szene gesetzt und dabei jede Anbiederung an Trends vermieden. Ich denke, genau dieser souveräne Umgang mit der eigenen Tradition macht den Spot markentypisch und glaubwürdig. Chanel setzt auf den Wiedererkennungswert und bedient sich genau jener gestalterischen Motive, die man erwartet, wenn man Exklusivität, Understatement und französische Grandezza hören möchte.

Aber um ehrlich zu sein: Die Frage, ob die emotionale Verbindung zwischen den Protagonistinnen und das in vielen Szenen angedeutete Verhältnis mehr als ein diffuses Versprechen bleibt – sie lässt mich ratlos zurück. Ob das nun ein faszinierender künstlerischer Schachzug oder vielleicht doch eine gewisse inhaltliche Leerstelle ist, mag jeder für sich auslegen. Ich würde behaupten: Wer subtile, symbolisch aufgeladene Werbung mit Hang zum Fragmentarischen mag, kommt hier auf seine Kosten. Für alle, die sich Klarheit und konkrete Geschichten wünschen, könnte der Spot dagegen etwas ungreifbar bleiben.

Mich interessiert: Wie empfindest Du diesen Ansatz? Findest Du die fragmentarische Erzählweise inspirierend oder eher distanzierend? Bringt Dich der Spot dazu, No. 5 neu zu denken, oder bleibt er für Dich ein schönes Bild ohne Botschaft? Lass uns gerne darüber diskutieren – und ich bin neugierig auf Deine Sicht!