Auch wenn spätestens ab der Künstler-Atelier-Szene wohl jedem klar wird: Hier wird nicht auf ein klassische Feierabendszenario gesetzt, sondern auf einen gewissen intellektuellen Überbau.

Was die Zielgruppenansprache angeht, bin ich der Meinung, dass sich der Spot gezielt an ein urbanes, kreatives und eher reflektiertes Publikum wendet. Die Szenen mit Malerei, Musik und Tanz erzeugen Assoziationen von Freiheit, Individualität und Selbstverwirklichung – das klassische Bild der Werbe-Subkultur, das sich aber, wie ich finde, durchaus stimmig inszeniert. Ich denke, das ist ein bewusster Bruch mit dem Klischee des Grillenden Mittelstandsbürgers, der in Werbespots zum Thema alkoholfreies Bier sonst allzu oft noch bemüht wird.

Die Werbebotschaft – "Deine Leidenschaft muss nicht sauber sein oder schön klingen. Deine Leidenschaft gehört nur dir allein. Also genieße sie. Radeberger Pilsner. Auf die Leidenschaft. Auch für jede Leidenschaft zu haben. Radeberger Alkoholfrei." – halte ich für bemerkenswert direkt und trotz ihrer Schlichtheit clever gewählt. Die letzten Zeilen balancieren elegant zwischen universellem Selbstverständnis und einer charmant selbstironischen Offenheit. Meiner Ansicht nach spielt Radeberger hier mit der Doppeldeutigkeit von Leidenschaft als sowohl emotionalem als auch sinnlichem Begriff – ohne dabei ins allzu Pathos-Hafte abzurutschen.

Kreativ und originell? Nun, ich würde sagen, der Spot sucht nicht das Rad neu zu erfinden, aber ich erkenne durchaus eine subtile Originalität im Zusammenspiel von Szenenbild und Narration. Besonders die Bildsprache, etwa der Hund mit der Pfote vorm Auge oder der Sonnenuntergang samt Regenbogeneffekt, verleiht dem Ganzen einen unaufgeregten, leicht poetischen Unterton, den ich so in der Kategorie „Alkoholfreies Bier“ selten gesehen habe. Das kann man natürlich als ein wenig prätentiös abtun oder eben als Versuch, der längst nicht mehr jugendbewegten Zielgruppe von Lifestyle-Urbanisten noch einmal ein neues Identifikationsangebot zu machen. Ich persönlich schmunzle an einigen Stellen über den süffisanten Meta-Kommentar: Leidenschaft hat eben viele Gesichter, nicht alle sind für den Hochglanz-Kalender geeignet.

Aus fachlicher Sicht ist die Konsistenz der Markenbotschaft bemerkenswert stringent: Leidenschaft und Individualität werden in jeder Szene konsequent gespiegelt, und das ständige Einblenden des Radeberger-Logos sorgt für einprägsame Markenzuordnung, ohne dabei mit dem plakativen Holzhammer zu arbeiten. Die visuelle Umsetzung ist hochwertig, fast schon cineastisch ausgeleuchtet, was mir sehr positiv auffällt. Jeder Protagonist wirkt authentisch, und selbst das vermeintlich beiläufige Detail wie der herumliegende Besen oder das wirre Kabel unterstreicht die glaubwürdige Imperfektion, auf die Radeberger hier setzt. Das hebt den Spot für mich deutlich von glattgebügelten Konkurrenten ab.

Allerdings, und das sei mit einem Augenzwinkern angemerkt, scheinen sich hier alle Werbefiguren in einem Paralleluniversum zu bewegen, in dem Freizeit stets in ästhetisch anspruchsvollen Szenen und in bestem Licht vergeht – von Alltagshektik, Dosenravioli oder schlechten Haar-Tagen keine Spur. Ich bin geneigt zu denken, dass der durchschnittlich leidenschaftliche Bierfreund bei solchen Idealbildern manchmal grinst – aber darin liegt vielleicht auch die leise Ironie des Spots.

Ich stelle zur Diskussion: Wie glaubwürdig empfindest Du den Versuch, mit einer genau kalkulierten Ästhetik und dem Fokus auf „Leidenschaft in allen Lebens- und Kunstlagen“ neue Kundengruppen anzusprechen, ohne das Produkt selbst allzu sehr zu erklären? Oder anders gefragt: Ist das Bild von Individualität, das hier aufgerufen wird, zeitgemäß oder droht es, in seiner Kuratiertheit genau jene Menschen auszuschließen, die weniger abendsonnengetränkte Leidenschaften pflegen? Lass gern Deine Meinung dazu da – ich denke, hier ist viel Raum für eine kritische, differenzierte Auseinandersetzung!

Autor: Ralf Zmölnig